Wo Genossenschaft draufsteht, sollte auch Genossenschaft drin sein
Die (angeblich) grundsätzliche Nichtbeteiligung von Mitgliedern am Unternehmenswert der Genossenschaft bei Fusionen.


Unter dem Titel "Nominalwertprinzip bei Verschmelzungen von Genossenschaften ist Ausdruck der genossenschaftlichen Mitgliederförderung" veröffentlichte der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. (DGRV) unter dem Eindruck eines am Landgericht Nürnberg-Fürth anhängigen Spruchverfahrens zur Abfindung von Genossenschaftsmitgliedern bei Fusionen seine Meinung dazu.
Gleich zu Beginn wird folgendes behauptet: "
Mitglieder von Genossenschaften sind grundsätzlich nicht an den Rücklagen und sonstigem Vermögen der Genossenschaft (einschließlich stiller Reserven) beteiligt, § 73 Abs. 2 S. 3 Genossenschaftsgesetz (GenG). Mit dem Ausscheiden aus der Genossenschaft erhält das Mitglied nur sein Geschäftsguthaben zum Nennbetrag (Auseinandersetzungsguthaben) zurück"

Derartige Aussagen vermitteln dem jeweiligen Leser, dass
grundsätzlich laut § 73 Abs. 2 Satz 3 GenG keine Beteiligung der Mitglieder am Vermögen der Genossenschaft, das sich aus den Rücklagen, sonstigen Vermögen und einschließlich stiller Reserven zusammensetzt, möglich ist. Doch dies ist nur eingeschränkt richtig.

Der DGRV verkennt dabei, dass § 73 Abs. 2 Satz 3 GenG einerseits den Begriff "
grundsätzlich" nicht erwähnt und sich andererseits lediglich auf die Auseinandersetzung mit Mitgliedern bezieht, die durch Kündigung, Tod oder Ausschluss aus der Genossenschaft ausscheiden. Weder im Gesetzestext noch in den Gesetzesunterlagen ist etwas darüber zu finden, dass diese Gesetzesvorschrift auch auf Verschmelzungen angewandt werden kann. Folglich kann diese Bestimmung auch nicht als Begründung für die Verweigerung jeglicher Mitgliederabfindung bei einer Verschmelzung verwendet werden.

Im Gegenteil, es gibt sogar eine eindeutige Klarstellung. Im Beschluss des BGH (II ZB 16/08 vom 27.04.2009) wird klargestellt, dass ein Genossenschaftsmitglied – solange es nicht ausgeschieden ist - während seiner Mitgliedschaft am tatsächlichen Wert des Geschäftsanteils beteiligt ist.
Der BGH machte deutlich: „
Auch wenn das ausgeschiedene Genossenschaftsmitglied nach § 73 Abs. 2 Satz 3 GenG grundsätzlich keinen Anspruch auf Beteiligung an den Rücklagen hat - es sei denn, dass die Satzung einen solchen Anspruch ausdrücklich vorsieht (§ 73 Abs. 3 GenG) -, ändert dies nichts daran, dass ein Genosse jedenfalls während seiner Mitgliedschaft, um deren Fortbestehen die Parteien streiten, an diesem Wert beteiligt ist.

Bei einer Verschmelzung scheiden allerdings die Mitglieder der übertragenden Volks- oder Raiffeisenbank nicht aus, sondern werden - ob sie wollen oder nicht - zu Mitgliedern der aufnehmenden Genossenschaftsbank gemacht.

Wenn, wie der BGH schreibt, ein Mitglied solange es nicht ausgeschieden ist, an den Rücklagen beteiligt ist, um wie viel mehr ist es dann bei einer Verschmelzung als Mitglied der übertragenden Genossenschaftbank betroffen. Denn es handelt sich bei diesem – manchmal erheblichen -
Vermögen der Genossenschaft um Beträge, die den Mitgliedern als Förderleistung vorenthalten wurden. Und diese Beträge stehen immer und ausschließlich nur den Mitgliedern diese Genossenschaft zu und keiner anderen, eigentlich fremden Genossenschaft. Ganz besonders auch, da die Mitglieder dabei nicht ausscheiden, sondern ihre eigene Genossenschaft aufgelöst wird. Auch wenn der DGRV behauptet, dass dies gerade nicht zutrifft, da keine Liquidation stattfindet, warum findet es dann bei anderen Rechtsformen statt? Es wird Zeit, dass solches gerichtlich geklärt wird.

Der Förderauftrag des § 1 GenG legt jeder Genossenschaft die gesetzliche Pflicht auf, die eigenen Mitglieder zu fördern. Bei einer Verschmelzung, die stets nach § 2 UmwG als Verschmelzung mittels Vermögensübergabe als Ganzes unter Auflösung der übertragenden Genossenschaft erfolgt, den Mitgliedern den Anteil an ihrem eigenen Genossenschaftsvermögen zu verweigern und dies als Ausdruck der genossenschaftlichen Mitgliederförderung zu bezeichnen, zeigt auf, wie weit sich die oberen Ebenen der Genossenschaftsorganisation bereits von ihren Wurzeln entfernt haben.

Wie mitgliederfreundlichere
Alternativen aussehen, erfahren Sie auf den nächsten Seiten.
Georg Scheumann
genossenschaftlicher Bankbetriebswirt
Weinbergstr. 38
90613 Großhabersdorf
Tel.: 09105 1319
georg.scheumann(ät)wegfrei.de
in Zusammenarbeit mit